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GEGEN DIE FDP JENA ALS BÜNDNISPARTNERIN DES CSD

Auch dieses Jahr gibt es in Jena wieder einen CSD. Das halten wir für ein gutes und wichtiges Zeichen und wir freuen uns, dass Menschen diesen auf die Beine stellen.

Leider gibt es im CSD Jena Bündnis [1] ein Problem. Denn eine Bündnispartnerin des CSD Jena ist die FDP, spezifisch die Jenaer FDP. Dies ist ein Problem, weil die FDP in Jena eine Politik macht, welche unsere Interessen als queere Menschen nicht vertritt; weil die FDP ihre Mitgliedschaft in diesem Bündnis ausnutzt, um sich als Queer-Partei zu profilieren und um so unsere Wähler*innenstimmen zu gewinnen. Wir haben ein Problem mit der Vereinnahmung unserer Politik und unserer Identität, der Ausschlachtung von uns als Gruppe für politisches Kapital. Weswegen wir deswegen entschieden gegen eine Zusammenarbeit mit der FDP in Jena sind, wollen wir im Laufe dieses Textes genauer darlegen.

Die Vereinnahmung und Einhegung queerer Politik ist nicht neu, sondern leider in den letzten Jahren zu einem Zeitphänomen geworden. Von der Deutschen Bahn über diverse Schuhhersteller*innen oder Parfümerien bis hin zu Plattformen wie YouTube, Fernsehshows wie Germanys Next Topmodel oder eben politischen Parteien – sie alle schmücken sich gelegentlich mit queerem Regenbogencharme. Dieses Phänomen spiegelt in gewisser Weise auch die Erfolge queerer Kämpfe wider. Queer ist irgendwie cool geworden und damit auch vermarktbar, ob nun ökonomisch, kulturell oder politisch. Dass das so ist, ist ein Erfolg. Es ist aber kein Teil queerer Kämpfe. Modehersteller*innen, die viel Geld mit der Ausbeutung von Näher*innen verdienen und Politiker*innen, die sich beim Auftritt vor ohnehin schon aufgeschlossenem Publikum die Pride Flagge anstecken, haben ein Eigeninteresse. Sie tun das, was sie tun nicht – zumindest nicht nur – weil ihnen Queers so am Herzen liegen. Das heißt nicht, dass sie böse Menschen sind oder dass sie nichts für die Rechte queerer Menschen tun können, sondern lediglich, dass ihr primäres Interesse in Verkaufszahlen, Wähler*innenstimmen und Klicks besteht. Wenn YouTube beispielsweise anlässlich des CSDs eine Pride-Playlist erstellt, diese aber für User*innen mit arabischen IPs nicht sichtbar ist, die Videos dort nicht verfügbar sind, dann profitiert YouTube lediglich von queeren User*innen, ohne sich jedoch an einem politischen Kampf zu beteiligen. Gleiches gilt für politische Fraktionen, die sich zwar gern als Unterstützer*innen queerer Politik darstellen, de facto aber nichts für queere Belange tun oder sich Queerfeindlichkeit in der Gesellschaft oder in den eigenen Strukturen nicht aktiv entgegenstellen.

Diese einfache Wahrheit scheinen einige Aktivist*innen des CSD Jena Bündnis vergessen zu haben. Anders können wir uns nicht erklären, wie es sein kann, dass das CSD Bündnis in Jena die FDP zu seinen Unterstützer*innen zählt. Zum Kontext: Der Grund, warum die FDP Jena als Unterstützerin des CSD auf dem Programmflyer erscheint, ist, soweit wir wissen, dass ein Mitglied, die für die FDP im Stadtrat sitzt, Teil des CSD Bündnisses Jena ist. Angeblich sitzt sie dort mit einem Mandat ihrer Fraktion, daher soll die FDP als Unterstützerin auf den Flyer, obwohl es gegen die Bündnismitgliedschaft in den letzten Wochen sogar ein Veto aus dem CSD Bündnis selbst gab.

Ebenfalls für die FDP im Stadtrat Jena sitzt jedoch beispielsweise auch Stefan Beyer. Er ist Fraktionsgeschäftsführer der FDP und Beteiligter im Jugend- und Finanzausschuss der Stadt. Warum Stefan Beyer, nicht nur, aber auch für queere Kämpfe höchst problematisch ist, können wir an dieser Stelle nur kurz anreißen. Seine Beteiligung an den verschwörungsideologischen Coronaaufmärschen, die (neben Clemens Leder) zum Teil seine Frau Antje Beyer mitorganisierte und anmeldete, ist in Jena sicherlich bekannt, wir wollen auch an sein gemeinsames Podium mit Denny Jankowski von der AfD in der Germania-Burschenschaft 2019 erinnern (siehe Artikel vom Rechercheportal Jena SHK[2]), oder den Eklat um Stefan Beyer 2021 im Rahmen der Debatte um die Beschlussvorlage zur Verbesserung der Lebens- und Wohnbedingungen von Geflüchteten in Jena im Stadtrat, die unter anderem von der Seebrücke Jena miterarbeitet wurde. In rassistisch-parternalistischer Manier trat Beyer hier als „Kenner“ der Bedürfnisse von Geflüchteten auf, wonach diese sich gar keine andere Wohnsituation als in Massenunterkünften wünschen würden (siehe Artikel von Lager Watch Thüringen [3]).

Darauf, warum die Solidarisierung mit antirassistischen und antifaschistischen Kämpfen auch für queere Kämpfe wichtig ist, werden wir später nochmal eingehen. Aber auch konkret bezogen auf den CSD und queere Kontexte ist Stefan Beyer, nett gesagt, höchst problematisch.

Denn Stefan Beyer ist nicht nur FDP-Mitglied im Jenaer Stadtrat, sondern darüber hinaus auch leitender Pastor der Evangeliumsgemeinde Jena, einer evangelikalen, christlich-fundamentalistischen Kirchengemeinde am Jenaer Saaleufer[4]. Die Evangeliumsgemeinde Jena ist Teil des Bundes freier evangelischer Gemeinden in Deutschland[5], einem Zusammenschluss der über die, in evangelikalen Kreisen gängige, christliche Homosexuellenfeindlichkeit hinaus besonders problematische Ansichten über Homosexualität vertritt [6]. Dass auch Stefan Beyer diese homosexuellenfeindlichen Ansichten teilt und verbreitet, zeigt ein Blick in seine Predigten: Denn dort sagt er unter anderem Sätze wie diesen: „Homosexualität, gelebte Homosexualität ist laut der Bibel das Kennzeichen einer Gesellschaft, die sich vollkommen von Gott losgesagt hat. Also es ist laut der Bibel keine geringfügige Sünde, sondern es ist grade oft der Gipfel von einer Gesellschaft, die ohne Gott lebt“[7]. An einer weiteren Stelle bezeichnet er „gelebte Homosexualität“ als die „höchste Auflehnung gegen den Schöpfer“, die ‚Anbetung eines falschen Gottes‘ und „widernatürlich“[8]

Eine Fraktion, die solche Haltungen in ihren Strukturen akzeptiert oder zumindest duldet, soll also als Unterstützerin des CSD auftreten und somit kostenlose Wahlwerbung unter Queers machen dürfen?

Die Nennung der FDP als Unterstützerin des CSD ist aber auch abseits der queerfeindlichen Entgleisungen einer ihrer Mandatsträger zutiefst unsolidarisch. Die FDP in Jena hat in den vergangenen Jahren mit dem Haushaltssicherungskonzept (HSK) massive Einschnitte bei den sozialen Zuwendungen, bei Vereinszuschüssen und bei Ausgaben für nachhaltige Entwicklung forciert und hätte bei Durchsetzung des HSK damit zur Verschärfung der sozialen Ungleichheit in der Stadt beigetragen, den Klimaschutz unterlaufen und dem soziokulturellen Leben der Stadt, der Jugendförderung, sowie dem Gleichstellungs- und Bildungswesen massiven Schaden zugefügt.

Das weiß das CSD Bündnis auch – schließlich hat es den offenen Brief des „Runden Tisches Klima und Umwelt Jena“ zum Haushaltssicherungskonzept selbst mitunterzeichnet [9] und ist als Bündnispartner des Bündnis Solidarische Stadt gelistet[10]. Nicht zuletzt wären von den Kürzungen des HSK auch viele Unterstützer*innen des CSD Jenas betroffen gewesen. Und auch abseits des HSK hat die FDP eine Politik fortgeführt und mitvorangetrieben, die vor allem Wettbewerbsfähigkeit und Wachstum in den Fokus stellt und die sich scheinbar durch feiernde Jugendliche, eine lebendige Fankultur oder ein demokratisches Stadtleben nur gestört fühlt.

Wenn armen Leuten die Unterstützungen gestrichen werden sollen, die Kulturlandschaft eingestampft werden soll oder Frauen- und Jugendförderung Gelder entzogen werden sollen, dann kann das uns als queerer Community nicht egal sein! Die Kämpfe und Konflikte, um soziale Ungleichheit, Verteilung von Unterstützungen und Lasten, Gleichstellung und Unterstützung für strukturell Benachteiligte können nicht isoliert von den Kämpfen der queeren Community betrachtet werden. Schon allein deshalb nicht, weil auch wir oft arm und strukturell benachteiligt oder von Rassismus und Sexismus betroffen sind – weil auch wir oft auf Räume und Veranstaltungen der Sub- und Soziokultur angewiesen sind, weil auch wir sexualisierte Gewalt erleben, Beratungsangebote und Rückzugsräume brauchen und so weiter. In den Kämpfen, die wir kämpfen, sind wir nicht allein und wir können sie nicht getrennt voneinander denken! Es gibt keine Abschaffung des Patriarchats ohne die Abschaffung der weißen Vorherrschaft. Es gibt keine Abschaffung des strukturellen Ableismus in dieser Gesellschaft ohne der Abschaffung des Kapitalismus. Die Strukturen, gegen die wir uns wenden, sind untereinander verknüpft und verknotet, es gibt keinen Fortschritt in einem Kampf, wenn es keine Fortschritte in allen anderen gibt. Queerness schützt uns nicht vor eigenem problematischen Verhalten und wenn wir es ernst meinen mit queerer Befreiung, müssen wir uns gegen alle Formen der Unterdrückung stellen. Ein Bündnis mit der FDP macht das unmöglich.

All das zeigt, dass die FDP in Jena nicht in unserem Interesse handelt, sondern ganz im Gegenteil uns und unseren Freund*innen und verbündeten Strukturen in der Stadt vielfach geschadet hat. Die FDP Jena als Unterstützerin des CSD im Bündnis und damit auf dem Flyer zu akzeptieren bedeutet, der Einhegung und Vereinnahmung queerer Politik zuzustimmen und einem solidarischen Kampf für eine gerechtere und vielfältige Gesellschaft den Rücken zuzukehren. Das können wir nicht so hinnehmen!

Die FDP ist im Übrigen nicht die einzige Partei im CSD Bündnis. Neben ihr stehen auch die Jusos und Die PARTEI als Bündnispartner auf dem Flyer. Auch das ist in unseren Augen nicht tragbar, weswegen wir auch hierauf kurz eingehen wollten.

Die PARTEI ist in der Vergangenheit durch Übergriffigkeit und Diskriminierung aufgefallen, 2020 musste sich der Bundesvorstand schon einmal dazu äußern[11], allerdings hörten die Übergriffe nicht auf und neulich hat die Partei ein weiteres Statement zu den Übergriffen in Erfurt veröffentlicht [12], der Landesverband Thüringen ist zurückgetreten und der Kreisverband Erfurt wurde aufgelöst. Andererseits ist der Vorstand der PARTEI Martin Sonneborn selbst oft auffällig geworden, indem er beispielsweise blackfacing betreibt, ableistische Sprüche auf Wahlplakate packt, von sexualisierter Gewalt betroffenen Menschen von einer Anzeige abrät oder gegen ein Verbot von Konversionstherapie stimmte [13, 14, 15].

Die Jugendorganisation der SPD, die Jusos, sind wie gesagt auch Teil des Bündnisses. Die SPD ist natürlich auch nicht ohne ihre Probleme, das SPD Sommerfest war etwa durchsetzt mit Übergriffen, die Polizei ermittelt aktuell wegen dem Einsatz von K.O.-Tropfen auf diesem Fest [16]. Politisch ist die Partei auch sehr kritisch, seien es die Hartz-Reformen welche sie durchgesetzt haben (zusammen mit den Grünen), ihre generelle konservative Politik in der GroKo und auch ihre Queerpolitik. Noch vor der heutigen Ampelkoalition, 2021, gab es bereits eine Abstimmung zur Abschaffung des TSG, des Transsexuellengesetzes (bis 2011 war dieses explizit eugenisch gegenüber trans* Menschen, bis das Bundesverfassungsgesetz Teile des TSG für verfassungswidrig erklärte), ein geradezu tyrannisches Gesetz welches sich anmaßt, über alle Aspekte des Lebens von trans* Menschen zu bestimmen. Ersetzt werden sollte es durch ein „Selbstbestimmungsgesetz“, dessen Entwurf die Grünen schrieben. Die SPD stimmte gemeinsam mit der CDU und der AfD nahezu geschlossen gegen diesen Gesetzesentwurf [17]. Der Gesetzesentwurf wurde abgelehnt. Diese Menschen spielen mit dem Leben von trans* Menschen, von queeren Menschen generell, Poker, wenn sie unsere Existenz nicht von vornherein ablehnen. Jede Allianz mit ihnen ist falsch!

Stonewall was a riot! Wir sind nicht gegen den CSD. Viele von uns sind oder waren sogar selbst eine Zeit lang im CSD Bündnis in Jena aktiv. Aber wir sind entschieden gegen die Zusammenarbeit mit der FDP, gegen die Vereinnahmung unserer Kämpfe für ein inhaltsloses, scheinbar queer-freundliches Image der eigenen Partei, gegen rainbow washing generell und gegen die neoliberale Instrumentalisierung queerer Kämpfe. Wir können keine Verbündeten sein mit Akteur*innen, die in anderen Kontexten unsere Gegner*innen sind! Queere Kämpfe haben schon viel bewirkt. Lasst uns nun nicht die falschen Partnerschaften eingehen und uns durch oberflächliche Solidaritätsbekundungen besänftigen oder kleinhalten, sondern weiter radikal und bestimmt für unsere Rechte und gegen Diskriminierung, Gewalt und Ausgrenzung kämpfen! Wir kämpfen nicht für die Freiheit einzelner, sondern für die Freiheit aller! Queere Kämpfe müssen sich also gegen jede Form von Unterdrückung positionieren. Queere Kämpfe müssen immer antirassistisch, antifaschistisch, antiklassistisch und antiableistisch sein, sich mit Menschen auf der Flucht solidarisieren und besonders in Deutschland entschieden Antisemitismus entgegentreten!

Trans*solidarische Vernetzung Jena

[1] Die Komplikationen um den Namen des CSD Jena Bündnisses haben uns erreicht, wir wollen vermerken und klarstellen, dass es in diesem Text nur um das CSD Jena Bündnis geht und dass wir dieses meinen wenn wir vom CSD Bündnis sprechen oder ähnliche Betitelungen verwenden.
[2] https://rechercheportaljenashk.noblogs.org/post/2020/10/04/artenschutz-fuer-rechtsaussen-welche-burschen-die-cdu-fuer-besonders-schuetzenswert-haelt/
[3] https://lagerwatchthueringen.noblogs.org/post/2021/07/21/die-christliche-rechte-im-jenaer-stadtrat/
[4] https://de.linkedin.com/in/stefan-beyer-1897711b1
[5] https://www.eg-jena.de/werte
[6] https://downloads.feg.de/2019_Mit_Spannungen_umgehen_Homosexualitaet.pdf
[7] https://www.eg-jena.de/predigten/predigt-vom-24-07-2016-stefan-beyer-richter-19-21-der-abgrund-der-suende
[8] https://www.eg-jena.de/predigten/predigt-vom-24-07-2016-stefan-beyer-richter-19-21-der-abgrund-der-suende
[9] https://hsksonichtjena.wordpress.com/2020/12/07/offener-brief-des-runden-tisches-klima-und-umwelt-jena-zum-haushaltssicherungskonzept-jena-fur-2021-2026/
[10] https://hsksonichtjena.wordpress.com/bundnispartnerinnen/
[11] https://www.die-partei.de/2020/03/13/statement-des-bundesvorstandes-zu-sexismus-uebergriffigkeit-und-diskriminierung/
[12] https://www.die-partei.de/2022/06/04/stellungnahme-des-bundesvorstandes/
[13] https://www.zeit.de/zett/politik/2021-01/die-partei-nico-semsrott-rassismus-martin-sonneborn-kritikfaehigkeit-maennerpartei
[14] https://www.welt.de/politik/deutschland/article206310429/Satire-Partei-Grabscherei-und-Sexismus-Vorwuerfe-gegen-Die-Partei.html
[15] https://www.queer.de/detail.php?article_id=33523
[16] https://www.zdf.de/nachrichten/politik/spd-sommerfest-ko-tropfen-100.html
[17] https://www.bundestag.de/parlament/plenum/abstimmung/abstimmung?id=738