Kategorien
General

Wir leben immer noch und wir lassen uns dieses Leben nicht einfach so wegnehmen! Redebeitrag zu Suiziden am Trans* Day of Remembrance 2022

CN: Mord, Gewalt, Trans*feindlichkeit, Queerfeindlichkeit, Suizid, Misgendern

 

Wenn Du Suizidgedanken hast, sprich bitte mit jemandem darüber!

Du kannst dich rund um die Uhr an die Telefonseelsorge wenden (08 00/1 11 01 11 oder 08 00/1 11 02 22) oder www.telefonseelsorge.de besuchen. Dort gibt es auch die Möglichkeit, mit Seel­sor­ge­r*in­nen zu chatten.

 

Im Folgenden dokumentieren wir den Redebeitrag von Judith bei der Demo am 20.11.

Trans*feindlichkeit tötet. Immer wieder, weltweit. Deswegen gibt es diesen Gedenktag. Deswegen stehen wir heute hier. Weil es Menschen gibt, die aus Hass unsere trans* Geschwister verprügeln, vergewaltigen, foltern und ermorden. Aber wir verlieren trans* Freund*innen nicht nur durch Gewalt und Hassverbrechen. Wir verlieren sie auch aufgrund von Krankheit und Suizid, als Folge der anhaltenden Diskriminierung und Anfeindung, mit der trans* Personen Tag für Tag konfrontiert werden. Darum soll es in diesem Redebeitrag gehen.

Suizidgedanken und Suizid sind ganz allgemein ein Thema, was in unserer Gesellschaft oft gemieden wird. Und dass, obwohl jeden Tag fast 25 Menschen in Deutschland daran sterben. Das sind jedes Jahr mehr als 10.000 Menschen insgesamt. Bei etwa der Hälfte davon ist zudem bekannt, dass diese Menschen im Vorfeld von schweren Depressionen betroffen waren. Und trotzdem: Wir wollen uns am liebsten nicht mit dieser Thematik auseinandersetzen, es ist belastend, macht traurig und überfordert. Themen wie Depressionen und Suizid passen nicht in unsere Gesellschaft, in der es darum geht nach Glück und Zufriedenheit zu streben, sich selbst zu verwirklichen und das eigene Leben nach außen hin immer wieder bestmöglichst zu vermarkten. Öffentlich wird darüber hinaus oft die Angst vor Nachahmungen als Grund dafür genannt, warum Suizide und Suizidgedanken nicht thematisiert werden. Diese Möglichkeit von Nachahmung existiert zwar, aber trotzdem ist es meiner Meinung nach falsch, nicht über dieses Thema zu reden und zu berichten.

Denn dieses kollektive Schweigen lässt Menschen mit Suizidgedanken und psychischen Erkrankungen alleine, isoliert sie und verstärkt das Gefühl, so wie sie sind, nicht reinzupassen in diese Gesellschaft. Es gibt ihnen das Gefühl nicht über das reden zu können oder zu dürfen, was in ihnen vorgeht und wie sie sich fühlen. Und wenn sie doch darüber reden, fehlt es oft an Empathie und Verständnis und an der Fähigkeit angemessen darauf zu reagieren und mit dieser Situation richtig umzugehen. Dabei kann die Möglichkeit, darüber offen reden zu können so wichtig für Betroffene sein und auch dazu beitragen, dass nicht noch mehr Menschen an Suizid sterben. Dabei könnte die öffentliche Auseinandersetzung mit Suizidgedanken sicher dazu beitragen, dass das Wissen und das Verständnis bezüglich Suizidgedanken und Suiziden wächst, dass sich Falschannahmen und Mythen zum Thema Suizid und psychische Krankheiten abbauen und dass Menschen eine Handlungsfähigkeit in diesem Zusammenhang entwickeln, die Betroffenen auch tatsächlich hilft und sie nicht mit der eigenen Angst, Überforderung oder Unverständnis im Regen stehen lässt. Oft geht es dabei nicht einmal um die perfekten Worte, sondern einfach darum zu signalisieren: Ich bin für dich da und ich lass dich nicht im Stich!

Auch ich kenne Suizidgedanken und alles, was dazugehört leider nur zu gut. Bereits im Alter von 14 Jahren musste ich mich das erste Mal damit auseinandersetzen. Seitdem habe ich vier diagnostizierte schwer depressive Episoden überlebt. Und darüber bin ich heute unglaublich froh!

Bevor wir nun zur Verbindung von geschlechtlicher und sexueller Vielfalt und psychischen Erkrankungen und Suiziden zurückkommen, möchte ich deswegen noch sagen: Solltet ihr selbst Suizidgedanken haben, ihr seid damit nicht allein! Traut euch, darüber zu reden und bleibt mit diesen Gedanken nicht für euch! Sprecht mit einer Person, der ihr vertraut, sucht euch eine Beratungsstelle, oder wendet euch an ein Seelsorgetelefon wie z.B. die Nummer gegen Kummer oder die Youth-Life-Line. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen: Es lohnt sich immer, sich Hilfe zu holen! Und: Es lohnt sich immer, weiterzukämpfen, auch wenn es manchmal überhaupt nicht mehr so scheint!

Kommen wir nun zurück zum Thema des heutigen Tages. Wie sieht also die Lage bei queeren Personen und trans* Menschen hinsichtlich psychischer Erkrankungen und Suizidalität aus? Queere Menschen und unter ihnen in besonders hohem Maße trans* Personen haben ein deutlich erhöhtes Risiko für psychische Erkrankungen und Suizidalität. Studien haben gezeigt, dass das Risiko als trans* Person an Suizid zu sterben bis zu sechsmal höher ist als bei der restlichen Bevölkerung. Besonders gefährdet sind dabei Jugendliche und junge Erwachsene. Queere Menschen sind zudem fast dreimal häufiger von Depressionen und Erschöpfung betroffen als ihre nicht-queeren Mitmenschen. Und auch Angst und Panikattacken treten deutlich häufiger auf. So wurde beispielsweise bei 40% aller befragten trans* Personen in Deutschland schon einmal eine Angststörung diagnostiziert. Das ist mehr als jede dritte trans* Person! Diese Zahlen sind erschreckend und alarmierend und sie sollten endlich Politik und Gesellschaft wachrütteln und dazu animieren sich mit mehr Nachdruck und Dringlichkeit entschieden und solidarisch gegen Trans*- und Queerfeindlichkeit einzusetzen!

Denn was die Hintergründe dieser Zahlen angeht zeigt die bisher bestehende Forschung dazu eindeutig: Es ist kein Zufall und auch kein Charakteristikum der Persönlichkeit von queeren Menschen und trans* Menschen, dass sie in besonderem Maße psychisch und physisch belastet sind! Dies zu behaupten würde zu einer erneuten Pathologisierung von LGBTQIA führen, versuchen die Gründe dafür fälschlicherweise auf die betroffenen Personen selbst zu schieben und komplett verschleiern, welche gesellschaftlichen beziehungsweise strukturellen Mechanismen der andauernden Diskriminierung und Diffamierung eigentlich dahinterstehen. Internationale Forschungsergebnisse belegen nämlich, dass es eben gerade die andauernde Alltagsdiskriminierung und Gewalt sind, welche queere Menschen in zahlreichen Lebensbereichen nach wie vor erfahren müssen, die sich negativ auf die Gesundheit und das Wohlbefinden dieser Menschen ausüben. Doch auch innerhalb der LGBTQIA Community selbst gibt es hier noch einmal signifikante Unterschiede, die beispielsweise zeigen, dass dabei eben insbesondere trans* Menschen noch einmal in besonderem Ausmaß betroffen sind. Strukturelle Benachteiligung, Diskriminierung und ein Leben am sogenannten Rand der Gesellschaft machen krank! Das ist natürlich keine neue Erkenntnis, sondern bestätigt noch einmal, was sich auch für Menschen die beispielsweise von Armut oder Rassismus betroffen sind zeigt. Und die Auswirkungen von Mehrfachdiskriminierung sind hier noch gar nicht mitgedacht, was sich auch innerhalb der Studien zu queeren Menschen als gravierender Mangel erweist.

Doch was heißt das jetzt eigentlich konkret?

Konkret bedeutet das: Trans* und Queerfeindlichkeit hat zur Folge, dass trans* Personen vergleichsweise sehr oft von Armut und Wohnungslosigkeit betroffen sind, in prekären Arbeitsverhältnissen arbeiten müssen und immer wieder massiver physischer, psychischer und sexueller Gewalt ausgesetzt sind. Trans* und Queerfeindlichkeit hat zur Folge, dass queere Menschen oft ein ambivalentes Verhältnis zu ihrer Herkunftsfamilie haben und durch diese keine stärkende Unterstützung und Rückhalt erfahren. Trans* und Queerfeindlichkeit hat zur Folge, dass besonders trans* Menschen sich im Vergleich zur restlichen Bevölkerung viel häufiger sehr einsam und sozial isoliert fühlen. Trans* und Queerfeindlichkeit hat zur Folge, dass trans Menschen oft unter dem anhaltenden Stress stehen in ständiger Wachsamkeit vor Ablehnung und Anfeindungen leben zu müssen und ihre Umwelt permanent auf Anzeichen von Feindseligkeit scannen zu müssen. Trans* und Queerfeindlichkeit hat zur Folge, das menschenverachtende Gesetze wie das TSG immer noch nicht abgeschafft wurden und dass trans* Menschen in diesem Rahmen oft zusätzlich unter herabwürdigenden Verfahren und Untersuchungen und sehr langen Wartezeiten bis zur Anerkennung oder Ablehnung von Anträgen und Leistungen leiden müssen. Trans* und Queerfeindlichkeit hat zur Folge, dass insbesondere die Not und die Betroffenheit von trans* Frauen immer wieder nicht anerkannt und stattdessen ohne jegliche Grundlage in eine Gefahr und eine Täterrolle umgedeutet wird. Trans*- und Queerfeindlichkeit hat zur Folge, dass trans* Menschen oft aus Angst vor Stigmatisierung, Diskriminierung etc. durch das Personal im Gesundheitswesen weniger oder gar nicht medizinische Hilfe in Anspruch nehmen. Dadurch erhalten sie nicht nur weniger Unterstützung, sondern manchmal werden Krankheiten und Belastungen auch gar nicht oder erst zu spät erkannt und behandelt. Trans*- und Queerfeindlichkeit hat zur Folge, dass Symptome fälschlicherweise mit dem Queer-Sein der Person in Verbindung gebracht oder darauf zurückgeführt und deswegen falsch oder gar nicht behandelt werden. Trans*- und Queerfeindlichkeit hat zur Folge, dass trans* Menschen, die nach Deutschland kommen, um hier Schutz zu suchen vor der Verfolgung oder Ermordung als trans* Person in ihren Herkunftsländern, auch in Deutschland keine Ruhe finden, gar nicht erst als Schutzsuchende anerkannt werden oder zusätzlichen Hürden beispielsweise im Rahmen einer Transition ausgesetzt werden. Das alles muss endlich aufhören! Das alles sind Beispiele für die strukturellen Mechanismen und die strukturelle Diskriminierung die queere Menschen krank macht und in den Suizid treibt. Nur wenn wir diese Mechanismen schwächen, wenn wir die strukturelle Diskriminierung vermindern, dann lassen sich auch die daraus folgenden Belastungen reduzieren. Nur dann lassen sich weitere Suizide unter trans* Menschen und queeren Menschen wirkungsvoll verhindern!

Denn: Jedes einzelne Leben ist wichtig und jedes einzelne Leben ist wertvoll! Auch oder gerade dann, wenn rechte Idiot*innen, trans*feindliche Feminist*innen, fundamentalistische Religionsfanatiker*innen oder andere menschenverachtende Spinner immer wieder versuchen das Gegenteil zu behaupten. Wir existieren und wir haben ein Recht auf einen Platz in dieser Gesellschaft, wir haben ein Recht auf ein diskriminierungsfreies, menschenwürdiges Leben, wir haben ein Recht auf angemessene Gesundheitsversorgung, auf eine Abschaffung des menschenverachtenden TSG und auf den Schutz unserer Rechte, unserer Identitäten und unserer körperlichen und seelischen Unversehrtheit. Lasst uns gemeinsam füreinander da sein und uns gegenseitig supporten. Lasst uns gemeinsam an die erinnern, die wir verloren haben und dafür sorgen, dass ihre Geschichten nicht in Vergessenheit geraten. Lasst uns in ihrem und unserem Namen gemeinsam weiterkämpfen, heute und jeden anderen Tag aufs Neue. Denn wir geben uns nicht zufrieden mit oberflächlichen Solidaritätsbekundungen oder wegschauendem Schweigen. Wir lassen uns nicht einschüchtern, von dem Hass und der Gewalt. Wir sind viele, wir sind wütend und wir sind laut! Wir leben immer noch und wir lassen uns dieses Leben nicht einfach so wegnehmen. Danke für eure Aufmerksamkeit!